Auf die Lehre hinarbeiten
Nach 30 Absagen war der Frust gross. Immer wieder hatte sich Michael Bieri für eine Lehrstelle beworben, als ICT-Fachmann oder im Detailhandel. Vergeblich. «Meine Noten in der Schule waren nicht ungenügend, aber halt auch nicht überragend», sagt der 16-Jährige. In dieser schwierigen Situation machte ihm sein Lehrer den rettenden Vorschlag: Er solle sich doch eine Firma suchen, die ihm eine Vorlehre ermögliche. Mit der Neuenschwander AG in Grafenried fand er eine. So startete Michael Bieri seine Vorlehre und arbeitete während drei Tagen im Betrieb, der auf Produktentwicklung und Vertrieb von Fine Food spezialisiert ist. Während zwei Tagen in der Woche besuchte er die Berufsfachschule gibb in Bern. «Mir hat das selbständige Arbeiten im Betrieb sofort gefallen», erinnert sich Michael Bieri. «Bis auf das Bedienen des Gabelstaplers durfte ich alles machen, was auch ein Logistik-Lernender tut.» Und jetzt darf er auch mit dem Gabelstapler arbeiten: Seit August absolviert er bei der Neuenschwander AG die dreijährige Ausbildung zum Logistiker EFZ.
Für Junge, Erwachsene, Zugewanderte
Es gibt viele junge Leute wie Michael Bieri, denen der Einstieg in den gewünschten Lehrberuf nicht auf Anhieb gelingt. Sie brauchen aufgrund ihrer persönlichen, schulischen oder sprachlichen Voraussetzungen mehr Zeit, wollen dennoch bereits erste Schritte in der Berufswelt machen. In solchen Fällen ist die Vorlehre ein gutes Brückenangebot. Sie richtet sich an Jugendliche und Erwachsene, die keine Lehrstelle gefunden haben. Gleichzeitig ist sie auch für anerkannte Flüchtlinge, vorläufig aufgenommene oder aus dem EU-/EFTA-Raum zugewanderte Personen eine gute Gelegenheit, den Einstieg in die Schweizer Berufswelt zu schaffen. «Rund 90 Prozent unserer Vorlehre-Absolventinnen und -Absolventen finden im Anschluss eine Lehrstelle», sagt Stefan Lüscher von der gibb Berufsfachschule in Bern. Die Berufsfachschule ist eine von acht Standorten im Kanton, in denen die schulische Ausbildung zur Vorlehre angeboten wird. «Bei uns können sie individuell an ihren schulischen oder sprachlichen Schwächen arbeiten, zudem werden sie an den Berufskundeunterricht herangeführt.»
Wer eine Vorlehre absolvieren möchte, sucht sich einen passenden Betrieb. Dabei helfen können die Website des Kantons, Lehrpersonen oder Beziehungen im eigenen Umfeld. Der Betrieb und die Lernenden schliessen einen Vorlehrvertrag ab. Sie erhalten einen Lohn, der in der Regel 90 Prozent des 1.-Lehrjahr-Lohns des angestrebten Berufs entspricht. Rund 350 Personen absolvierten im abgelaufenen Schuljahr im Kanton Bern eine Vorlehre – Tendenz steigend. Gemäss dem Mittelschul- und Berufsbildungsamt des Kantons Bern besuchen heute nur noch halb so viele ein berufsvorbereitendes Schuljahr wie vor 10 Jahren: Die Vorlehre hat sich als gute Alternative etabliert.
www.be.ch/vorlehre
Legende: Michael Bieri besuchte während der Vorlehre die Berufsfachschule gibb in Bern.
Text + Bild: Peter Bader